Lesetipp von Sigrid Lemke - 25.07.2022
Aus dem Niederländischen von Andreas Ecke
Roman, btb, 22,00 €
„Wir waren jung und hatten nicht vor, jemals alt zu werden. Wer alt wird, landet in der Gefahrenzone, und das kam einfach nicht infrage." Trotz dieses Vorsatzes sind die vier Freunde Bart, Joost, André und David inzwischen Männer jenseits der 50 mit Problemen und Gebrechen. Sie sind seit Jahrzehnten befreundet, sehen sich nicht so oft, sind aber miteinander sehr verbunden. Als David ein Designhotel in Ferrara eröffnen möchte, begleiten ihn die Freunde, um ihm beim Umbau zu helfen. Ferrara ist schließlich die Fahrradhauptstadt Italiens und Rennradfahren ist ein gemeinsames Hobby. Die vier verbringen einen unvergesslichen Sommer, der viele Überraschungen mit sich bringt.
„Ferrara" ist ein Roman, der die Freundschaft feiert und ganz viel Atmosphäre und Spannung bietet. Er ist die Fortsetzung von Wagendorps Roman „Ventoux", in dem die Freunde eben diesen Berg bezwangen. Aber es ist nicht notwendig „Ventoux" zu kennen, um „Ferrara" zu lesen und zu mögen!
Lesetipp von Nicole Christiansen - 25.07.2022
Aus dem Englischen von Claudia Wenner
Roman, Ch. Beck Verlag, 25,00 €
Anja Ranewa, die Ich-Erzählerin in dem Debüt Roman der russisch-amerikanischen Autorin Kristina Gorcheva-Newberry hat seit der ersten Klasse eine beste Freundin. „Milka + Anja" schreiben sie auf dem Heimweg von der Schule in den Schnee am Stadtrand von Moskau. Die Sommer verbringen sie gemeinsam mit Anjas Eltern und der erblindeten Grossmutter in einer Datscha, wo die Apfelbäume im Frühjahr wunderschön blühen.
Milka ist viel zierlicher als Anja und wird von allen Sprotte genannt. Sie flüchtet vor ihrem problematischen Elternhaus in die familiäre Geborgenheit ihrer Freundin.
Es sind die 80er Jahre in der UDSSR. Die kurzen Amtszeiten von Andropov und Tschernenko verunsichern Anjas Eltern, die um ihre Jobs fürchten und mit dem Eingemachten aus dem Garten ihrer Datscha die Familie nur mit Mühe über den Winter bringen. Die Großmutter kann dagegen nichts mehr erschüttern, nachdem sie als junge Mutter die Belagerung Leningrads auf tragische Weise überlebt hat.
Gorbatschow kommt an die Macht und Anja und Milka werden zur Generation Perestroika. Sie lesen Tschechow und Bulgakow, schwärmen für Freddy Mercury und träumen davon, nach Paris zu ziehen.
Zwei extrem unterschiedliche junge Männer aus ihrer Schulklasse erobern ihre Herzen und gemeinsam erleben sie eine abenteuerliche Zeit. Voller Leidenschaft und Übermut, die ihre Beziehungen auf eine Zerreißprobe stellt.
Schließlich kommt es zur Katastrophe.
Anja rettet sich in ihr Studium, geht in die USA und besucht ihre Heimat, in der Putin längst die Macht übernommen hat, erst viele Jahre später wieder.
Ein vielschichtiger Roman, indem sich die Protagonisten unter den jeweiligen politischen Vorzeichen überraschend entwickeln. Auch das Auskommen der Menschen, ihre Sehnsüchte und ihre Resignation nimmt bildhaft Gestalt an. Die poetische Sprache der Autorin macht das Lesen zu einem Hochgenuss.
Unter den vielen Neuerscheinungen zum Thema Russland empfehle ich diesen Roman insbesondere für junge Menschen, die sich für Politik interessieren und zugleich eine starke Story lieben.
Lesetipp von Eva Lorenzen - 18.07.2022
Ratgeber, Kailash, 16,00 €
Der Begrüßungssekt, das Feierabendbier, der Verdauungsschnaps oder das schöne Glas Rotwein zum Essen sind vielen von uns zur Gewohnheit geworden und vermeintlich kein Problem.
Die Journalistin Natalie Stüben beleuchtet den Alkoholkonsum in der Gesellschaft mittlerweile komplett nüchtern und lässt uns teilhaben an ihren alkoholbedingten Abstürzen und Aussetzern und beschreibt den schmalen Grat zwischen „verantwortungsbewußtem Trinken" und der Abhängigkeit.
In einem der sieben Kapitel des Buches beschäftigt sich die Autorin zum Beispiel mit der Allgegenwärtigkeit des Alkohols in der Werbung, in den Medien und als sogenanntes Kulturgut und beschreibt die finanziellen Interessen der Hersteller und der Politik in Form von Steuereinnahmen.
In einem anderen Kapitel setzt die Autorin sich kritisch mit der Institution der Anonymen Alkoholiker auseinander, deren Verdienste nicht in Abrede gestellt werden, die aber nicht für jede/jeden Betroffenen der richtige Weg aus der Sucht sein müssen.
In allen Teilen verweist Frau Stüben auf Studien zum Thema und lässt Betroffene zu Wort kommen, die sich aufgrund ihres seit 2019 gestarteten Podcasts „Ohne Alkohol mit Natalie" gemeldet haben.
Außerdem betreibt sie seit 2021 einen gleichnamigen Youtube-Kanal und bietet Programme zum Leben ohne Alkohol an.
Ein sehr interessantes Buch, das einen neuen Blick auf das Thema vermittelt.
Und für alle, die Lust haben mal etwas Neues auszuprobieren:
„Alkoholfreie Cocktails" von Sara Thaiphakdi
Enthält sehr leckere Rezepte für die ganze Familie!
Lesetipp von Susanne Sießegger - 25.06.2022
Aus dem Amerikanischen Englisch von Susanne Höbel
Roman, Ullstein Buchverlage, 23,99 €
Der „Papierpalast" ist ein Ferienhaus auf Cape Cod, Massachusetts. Hier verbrachte die Erzählerin Elle schon die Sommer ihrer Kindheit. Einer sehr bewegten Kindheit mit geschiedenen Eltern, die jeweils neue Parter:innen hatten, mit denen sich Elle und ihre ältere Schwester arrangieren mussten. Inzwischen ist Elle Anfang 50, eigentlich glücklich mit Peter verheiratet und Mutter von drei Kindern. Mit ihrer eigenen Familie verbringt auch sie nun die Sommer im Papierpalast.
In diesem Jahr ist Elles Jugendfreund Jonas mit seiner Familie ebenfalls auf Cape Cod. Eine besondere Anziehung knistert zwischen den beiden und in einer lauen Sommernacht haben sie wilden Sex. Wird der Roman also nur zu einer Erzählung über zwei Menschen, die sich nach langer Zeit wiedersehen und aus ihrem Alltag ausbrechen wollen? Die „übliche" Geschichte?! Ha! Natürlich nicht– in Rückblicken werden wir in einen ganz besonders dramatischen Sommer in die frühe Jugend von Elle und Jonas förmlich mit zurückgezogen.
Ein spektakulärer, fesselnder, sehr gut geschriebener und übersetzter Roman!
Lesetipp von Sybille Kramer - 21.06.2022
Aus dem Englischen von Isabel Bogdan
Roman, Hanser, 22,00 €
Meine Empfehlung für den Juli ist ein wunderbar sommerlicher Roman von der großen alten Dame Jane Gardam (Jahrgang 1928!).
"Mädchen auf den Felsen" erscheint das erste Mal in deutscher Sprache, obwohl Gardams Roman bereits 1978 veröffentlicht wurde und auf der Shortlist für den Booker Prize stand. Wieder einmal stammt die kongeniale Übersetzung von Isabel Bogdan.
Ich habe mir das ungekürzte Hörbuch (Hörbuch Hamburg, 19,99 Euro) von Leslie Malton vorlesen lassen und wurde ganz hervorragend unterhalten. Der Roman führt uns in eine typische englische Küstenstadt im Jahr 1935. Hauptfigur ist die achtjährige Margaret, die gerade einen nervigen kleinen Bruder bekommen hat, der unentwegt schreit und dauernd gestillt werden muss.
Zum Glück gibt es das neue Hausmädchen Lydia - eine etwas derbe junge Frau, die unbedingt Spaß im Leben haben möchte. Man fragt sich, ob sie in diesem Haushalt wohl richtig ist, denn der Hausherr ist Prediger. Die ganze Familie leidet unter seiner strengen, puritanischen Art.
Der einzige Lichtblick für Margaret ist der wöchentliche Ausflug mit Lydia in einen benachbarten Küstenort. Während sich Lydia anderweitig amüsiert, erkundet Margaret allein die Umgebung und entdeckt ein Herrenhaus. Was für eine Verbindung zwischen den Bewohnern dieses Hauses und Margarets Mutter besteht, erfahren wir im Verlauf dieses Sommers, der nicht nur mit einem schrecklichen Unwetter endet, sondern auch das Leben aller Protagonisten verändern wird.
Bei Jane Gardam gefällt mir die feine Ironie und die literarische Tiefe. Very British!
Lesetipp von Michael Keune - 18.06.2022
Aus dem Russischen von Maria Rajer
Roman, Hoffmann und Campe, 24,00 €
In einer russischen Kleinstadt verliert der fünfjährige Mikita seine Mutter.
Er wächst nun bei seinem schwulen Onkel Slawa und dessen Partner Lew auf, bei denen er eine fröhliche Kindheit genießt, bis er in die Schule kommt.
Jetzt muß Mikita lügen lernen und wird gehänselt. Er verliert seine Heiterkeit. Er wird aggressiv.
Ein wenig Trost findet er in der Freundschaft zu einem Jungen, der aus einem Waisenhaus kommt.
Queeres Leben hat es schwer in Russland. Diskriminierende Gesetze und Strafverfolgung sind dort Alltag. Der junge Moskauer Autor Mikita Franko hat seinen Debütroman dennoch über dieses heikle Thema geschrieben und dabei viel riskiert.
Das große Leid, was den Regenbogenfamilien in Russland angetan wird, liest sich wie ein Aufschrei, der hoffentlich Gehör findet!
Bert Wagendorp: Ferrara
von Sigrid Lemke,
25.07.2022
Kristina Gorcheva-Newberry: Das Leben vor uns
von Nicole Christiansen,
25.07.2022
Nathalie Stüben: Ohne Alkohol: Die beste Entscheidung meines Lebens
von Eva Lorenzen,
18.07.2022
Miranda Cowley Heller: Der Papierpalast
von Susanne Sießegger,
25.06.2022
Jane Gardam: Mädchen auf den Felsen
von Sybille Kramer,
21.06.2022
Mikita Franko: Die Lüge
von Michael Keune,
18.06.2022
Dita Zipfel: Brummps. Sie nannten ihn Ameise
von Annette Quest,
16.06.2022
Alice Oseman: Loveless
von Ella Klees,
11.06.2022
Dominic Sandbrook: Weltgeschichte(n) - Zeit der Finsternis: Der Zweite Weltkrieg
von Andreas Mahr,
08.06.2022
Joachim B. Schmidt: Tell
von Eva Lorenzen,
25.05.2022
Adania Shibli: Eine Nebensache
von Nicole Christiansen,
23.05.2022
Natascha Wodin: Nastjas Tränen
von Sönke Christiansen,
20.05.2022
Elina Ellis: Von wegen süß!
von Sigrid Lemke,
17.05.2022
Adam Silvera: More Happy Than Not
von Annette Quest,
14.05.2022
Christian Linker: Y-Game - Sie stecken alle mit drin
10.05.2022
Chris Vick: Allein auf dem Meer
von Annette Quest,
20.04.2022
Stewart O'Nan: Ocean State
von Eva Lorenzen,
20.04.2022
Marion Lagoda: Ein Garten über der Elbe
von Sybille Kramer,
17.04.2022
Pauline de Bok: Das Schweigen der Frösche
von Sigrid Lemke,
25.03.2022
Kim Hillyard: Hedwig will hoch hinaus
von Nicole Christiansen,
18.03.2022
Annika Büsing: Nordstadt
von Sybille Kramer,
17.03.2022
Cornelia Franz: Swing High
von Andreas Mahr,
15.03.2022
Regina Wenig: Bauer Errfin und der Kongokäfer
von Susanne Sießegger,
09.03.2022
Szczepan Twardoch: Demut
von Michael Keune,
09.03.2022
Ronja von Rönne: Ende in Sicht
von Susanne Sießegger,
25.02.2022
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