Lesetipp von Nicole Christiansen - 31.01.2022
Roman, Hanser, 19,00 €
Das fünfte Buch von dem in Bagdad geborenen deutsch-irakischen Schriftstellers Abbas Khider hat nur 126 Seiten - und liest sich wie die fein gefilterte Quintessenz seiner Vorgängerromane. Der Held dieser berührenden Geschichte ist der "Erinnerungsfälscher" Said Al Wahid, vermutlich das Alter Ego des Autors. Im Mittelpunkt der Geschichte stehen seine Erfahrungen von Folter und Gewalt in der Diktatur. Seine Flucht aus dem Irak führt ihn durch verschiedene Länder im Nahen Osten bis er schließlich über Griechenland nach Deutschland kommt, wo ihn die Mühlen des unberechenbaren deutschen Einwanderungsrechts und der täglich für ihn spürbare Alltagsrassismus erwarten.
Dramaturgisch spannend ist der Wechsel der Zeitebenen im Roman. In einzelnen Sequenzen können wir uns ein Bild davon machen, wie sich das Leben von Said in Deutschland über viele Jahre hinweg entwickelt.
Said studiert. Er möchte Autor werden. Eine schwere Gedächtnisstörung macht ihm das Schreiben allerdings zur Qual. Seine Versuche, sich an sein vergangenes Leben zu erinnern, scheitern kläglich. Die Namen, Geburtstage, die Beschreibung seines Elternhauses, eine Landschaft; alles ist wie ausgelöscht. Ein Arzt rät ihm, sich an das "Behandlungszentrum für Folteropfer" zu wenden.
"Typisch, dachte Said. Wenn ein Migrant mit etwas kommt, das man in Deutschland nicht begreift, nennt man es Trauma. Was soll man tun, wenn das ganze Leben ein einziges Trauma ist?...Hatte das Gespräch mit dem Arzt überhaupt in einer echten Praxis stattgefunden oder hatte er sich das auch nur eingebildet?"
Said verliebt sich. Er wird Vater. Der Schmerz, der ihm angetan wurde, verwandelt sich am Ende zaghaft in Hoffnung.
Diese Lektüre berührte mich zutiefst. Meine Augen wurden mir geöffnet, um eine neue Perspektive zu gewinnen. Ein großartiger Autor!
Lesetipp von Sigrid Lemke - 21.01.2022
Jugendbuch, Oetinger, 14,00 €
Der neue Roman von Kirsten Boie führt uns zurück nach Hamburg im Juni 1945. Die Stadt liegt in Trümmern, britische Soldaten und Menschen ohne Wohnung bestimmen das Stadtbild. Wir lernen drei Jugendliche kennen: Jakob, ein Halbjude, der untergetaucht ist und bis vor einigen Tagen noch von einem Nachbarn versorgt wurde, doch nun ist der seit einigen Tagen nicht mehr gekommen. Jakobs Hunger überwiegt die Angst und so traut er sich auf die Straße. Er lernt Hermann kennen, der ein strammer Hitlerjunge war und nun nicht so recht weiß, was er glauben soll. Sein Vater, überzeugter Nazi, ist als Invalide aus dem Krieg zurück gekommen und nun ständig auf die Hilfe von Hermann und seiner Mutter angewiesen ist. Und auch Traute, ein Mädchen aus dem Viertel muss sich in dieser neuen Situation erst einmal zu Recht finden. Die Jugendlichen sind durch die Schrecken des Krieges und der Naziherrschaft miteinander verbunden.
„Heul doch nicht, du lebst ja noch" ist ein Roman für Jugendliche ab 14. Aber auch für Erwachsene ist dieser Rückblick auf ein Stück Hamburger Geschichte informativ und spannend. Kirsten Boie beschönigt nichts, aber sie lässt den Leser:innen Hoffnung und Aussicht auf bessere Zeiten: "Alles ist anders. Und wer weiß. Vielleicht wird wirklich alles gut."
Lesetipp von Nicole Christiansen - 05.01.2022
Aus dem Englischen von Anette Grube
Roman, Hoffmann und Campe, 24,00 €
Seit vierzig Jahren leben Surie und ihr Mann Yidel in einem alten Haus in der Nähe des East River in der orthodoxen Gemeinde von Williamsburg, N.Y.
Wie viele andere europäische Juden floh die Familie Eckstein vor dem Holocaust in die USA, um in ihrer chassidischen Glaubensgemeinschaft eine große Familie zu gründen.
Streng gläubig und sehr liebevoll zog die inzwischen 57-jährige Surie mit ihrem Ehemann die zehn Kinder groß, die ihnen bereits viele Enkelkinder schenkten.
Nicht nur zu den vielen jüdischen Festen ist ihr Zuhause ein Ort voller Leben, wo gemeinsam unglaublich viel gegessen und gefeiert wird.
In diesem trubeligen Leben fällt weder dem Ehemann Yidel, noch dem Rest der großen Mischpoke auf, daß die kräftige Surie nach der Geburt ihres jüngsten Sohnes, der inzwischen 13 Jahre alt ist, völlig unerwartet noch einmal schwanger geworden ist. Zudem hatte eine überstandene Krebserkrankung bei Surie die Menopause ausgelöst.
Surie, der es aus Scham nicht möglich ist, ihrem Yidel von der Schwangerschaft zu erzählen, beginnt plötzlich ein Eigenleben zu führen.
Ihr Geheimnis verändert ihre Rolle in der Familie und ihren Blick auf die Welt: Surie emanzipiert sich und das bewirkt Erstaunliches.
Dieser ergreifende Roman ist bereits im Frühjahr 2021 erschienen und ich bin sehr froh, darauf aufmerksam gemacht worden zu sein.
Anders als die Autorin Deborah Feldman in ihrem autobiografischen Roman „Unorthodox" schafft Goldie Goldbloom Verständnis für die bizarre Welt der Ultraorthodoxen, die zu Hause nicht Englisch sprechen, sondern Jiddisch. Das Internet ablehnen und viel schlimmer noch, Menschen ausgrenzen, die nicht ihrer Weltanschauung entsprechen.
Ein sehr kluger und lebensbejahender Roman!
Lesetipp von Susanne Sießegger - 03.01.2022
Aus dem Englischen von Anja Galić
Jugenbuch ab 14 Jahren, cbj, 20,00 €
Mit 13 waren Ivy, Mateo und Cal beste Freunde - die Freundschaft begann damals mit einer spontanen Schulschwänz-Aktion und zerbrach irgendwann. Das ist inzwischen einige Jahre her und die drei Jugendlichen haben eigentlich nichts mehr gemeinsam. Aber als Cal eines Morgens zu spät zur Schule kommt und dort auf Ivy und Mateo trifft, scheint das die Gelegenheit zu sein, den „genialsten Tag aller Zeiten" noch einmal zu wiederholen und einen Tag blau machen. Bei ihrem spontanen Ausflug nach Boston sichten sie einen weiteren Schüler, der sich verdächtig benimmt und sie nehmen die Verfolgung auf. Sie finden Brian „Boney"- tot am Boden liegend, in einem Atelier. Geschockt ergreifen sie, obwohl unschuldig, die Flucht vom Tatort. Ivy, Cal und Mateo haben jede/r eine bestimmte Verbindung zu Boney und ihre Gründe, nicht die Polizei zu rufen. Nach und nach enthüllen sich die Geheimnisse der drei, auch jene, die nichts mit dem Mord zu tun haben.
Nach „One of Us", „The Cousins" und weiteren Büchern ist dies wieder ein gut erzählter und richtig spannender Pageturner für Leser:innen ab 14 Jahren.
Lesetipp von Susanne Sießegger - 30.11.2021
Kinderbuch ab 5 Jahren, Carlsen Verlag , 12,00 €
Ein Panda namens Peter... äh...ein Panda mit Namen? Nein! Also: Nicht-Peter frühstückt. Was Pandas in China eben gern verspeisen: Bambus. Und während des „bambnüffelns" erklingt aus dem Bambusrohr ein Ton! Verrückt! Zusammen mit Nicht-Gerhard (der eigentlich am liebsten immer nur raufen möchte) und Nicht-Olivia (die ganz anders ist als andere Pandas, nämlich laut und gesellig und richtig schön unhöflich) schmiedet Nicht-Peter einen Plan: Sie wollen eine Band gründen, also eigentlich eine „Pand", die Panda-Pand. Bisschen schwierig, weil die anderen Pandas noch während der Erklärung, wie man aus dem Bambusrohr eine „Pflöte" herstellt, den Bambus auffuttern.
Natürlich kommt dann trotzdem noch tolle Musik zustande! Kinder erfahren in diesem Buch en passant Interessantes über Musik und über Pandas und China und Umweltschutz.
Sehr, sehr, sehr lustig und voller Wortschöpfungen & Sprachwitz. Die großartigen Illustrationen von Günter Jakobs vervollständigen dieses Vorlesebuch für Kinder ab 5.
Lesetipp von Andreas Mahr - 29.11.2021
Aus dem Itlalienischen von Cornelia Panzacchi
Kinderbuch ab 10 Jahren, Thienemann, 15,00 €
Paolo findet mit seinen Freunden auf dem Grundstück seiner Familie eine alte vergrabene Kiste. Ein darin enthaltener Brief erzählt die Geschichte eines Vorfahren, der Räuberhauptmann war und auf dem Grundstück einen eigenen Staat ausgerufen hat. Diese Idee fasziniert die Kinder natürlich und da sie ohnehin von den Erwachsenen nicht ernst genommen werden, greifen sie diese Idee auf und rufen im Internet den Kinderstaat aus. Die Reaktionen sind überwältigend und von überall her kommen neue Kinder die Teil des neuen Staates sein möchten. Komischerweise sind die Erwachsen gar nicht begeistert... .
Ein inspirierendes, spannendes Buch über das Abenteuer der Eigenständigkeit!
Mit Illustrationen von Iacopo Bruno und Timo Kümmel.
Abbas Khider: Der Erinnerungsfälscher
von Nicole Christiansen,
31.01.2022
Kirsten Boie: Heul doch nicht, du lebst ja noch
von Sigrid Lemke,
21.01.2022
Goldie Goldblom: Eine ganze Welt
von Nicole Christiansen,
05.01.2022
Karen McManus: You will be the Death of me
von Susanne Sießegger,
03.01.2022
Saša Stanišić : Panda-Pand. Wie die Pandas mal Musik zum Frühstück hatten
von Susanne Sießegger,
30.11.2021
Davide Morosinotto: Die Rebellen von Salento
von Andreas Mahr,
29.11.2021
Silke Wolfrum : Glückskekse im Advent
von Dilek Arslanlar,
27.11.2021
Katrin Burseg: Unter dem Schnee
von Sigrid Lemke,
17.11.2021
Robert Brack: Blizzard
von Sigrid Lemke,
17.11.2021
Einar Kárason: Sturmvögel
von Sigrid Lemke,
02.11.2021
Yaa Gyasi: Ein erhabenes Königreich
von Nicole Christiansen,
21.10.2021
Juliane Stadler: Krone des Himmels
von Andreas Mahr,
20.10.2021
Pirkko-Liisa Surojegin: Die tanzende Waldmaus
von Dilek Arslanlar,
20.10.2021
Sebastian Grusnick & Thomas Möller: Mein Bruder der Elbenritter
von Susanne Sießegger,
19.10.2021
Kevin Brooks: Bad Castro
von Andreas Mahr,
18.10.2021
Alex Schulman: Die Überlebenden
von Dilek Arslanlar,
28.09.2021
Jenny Erpenbeck: Kairos
von Nicole Christiansen,
22.09.2021
Michael Köhlmeier: Matou
von Michael Keune,
21.09.2021
Edward Wyke-Smith Veronica Cossanteli: Im kleinen wilden Schnergenland
von Andreas Mahr,
15.09.2021
Peter Carnavas: Der Elefant
von Nicole Christiansen,
15.09.2021
Doris Knecht: Die Nachricht
von Eva Lorenzen,
12.08.2021
Matthias Politycki: Das kann uns keiner nehmen
von Nicole Christiansen,
10.08.2021
Miika Nousiainen: Quality Time
von Sönke Christiansen,
10.08.2021
Dhonielle Clayton, Tiffany D. Jackson, Nic Stone, Angie Thomas, Ashley Woodfolk, Nicola Yoon: Blackout - Liebe leuchtet auch im Dunkeln
von Andreas Mahr,
09.08.2021
Sigrid Zeevart: Mika, Tony und Jack
von Susanne Sießegger,
31.07.2021
Ocke Bandixen, Ariane Camus: Auf Löwenjagd
von Susanne Sießegger,
29.07.2021
Lana Bastasic: Fang den Hasen
von Nicole Christiansen,
23.06.2021
Lena Gorelik: Wer wir sind
von Sybille Kramer,
22.06.2021
Manuela Golz: Sturmvögel
von Sigrid Lemke,
20.06.2021
Lee Bacon: Roboter träumen nicht
von Arthur Kaiser,
18.06.2021
Stefanie Taschinski: Familie Flickenteppich 3 - Wir machen Ferien
von Andreas Mahr,
18.06.2021
Jenni Hendriks & Ted Caplan: Unpregnant - Der Trip unseres Lebens
von Julie Hell,
08.06.2021
Tahereh Mafi: Wie du mich siehst
von Julie Hell,
26.05.2021
Katherine Rundell: Ein unvorstellbar unsinniges Abenteuer
von Andreas Mahr,
26.05.2021
Lauren Wolk: Echo Mountain
von Susanne Sießegger,
26.05.2021
Nora Luttmer: Hinterland
von Sigrid Lemke,
26.05.2021
Ann Petry: Country Place
von Susanne Sießegger,
25.05.2021
Sophie Hardcastle: Unter Deck
von Julie Hell,
07.05.2021
Takis Würger: Noah
von Michael Keune,
04.05.2021
Marc-Uwe Kling (Autor) Astrid Henn (Illustrationen): Der Tag, als Papa ein heikles Gespräch führen wollte
von Andreas Mahr,
29.04.2021
Anke Loose (Autorin) Ariane Camus (Illustrationen): Der kleine Herr Heimlich hat Großes vor
von Susanne Sießegger,
28.04.2021
Adam Silvera: Am Ende sterben wir sowieso
von Julie Hell,
28.04.2021
Bill Francois: Die Eloquenz der Sardine
von Sönke Christiansen,
28.04.2021
Arnon Grünberg: Besetzte Gebiete
von Nicole Christiansen,
28.04.2021
Sylvain Tesson: Der Schneeleopard
von Michael Keune,
24.04.2021
Sophie Passmann: Komplett Gänsehaut
von Nicole Christiansen,
24.03.2021
David Szalay: Turbulenzen
von Eva Lorenzen,
22.03.2021
Dave Goulson: Bienenweide und Hummelparadies
von Sigrid Lemke,
22.03.2021
Torsten Schäfer: Wasserpfade. Streifzüge an heimischen Ufern
von Sigrid Lemke,
21.03.2021
Elsa Klever: Tier hier
von Susanne Sießegger,
20.03.2021
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