Lesetipp von Sybille Kramer - 01.02.2022
Aus dem Englischen übersetzt von Stephan Kleiner
Roman, Claassen, 30,00 €
Eines der besten Bücher der letzten Jahre war für mich der Roman "Ein wenig Leben" von der US-amerikanischen Journalistin und Schriftstellerin Hanya Yanagihara.
Jetzt ist ihr neuer, knapp 900 Seiten umfassender, Roman erschienen, den ich natürlich gleich lesen musste. Es ist ein bombastisches, teilweise ausuferndes, einfühlsames, schreckliches, aber auch spannendes Buch entstanden.
Es gibt drei Teile, die im Abstand von ungefähr 100 Jahren in New York spielen. Dreh- und Angelpunkt ist ein in allen Teilen wiederkehrendes Haus am Washington Square in New York mit seinen Bewohnern. Im ersten Teil, der um 1890 spielt, hat sich die Autorin die Freiheit herausgenommen, die Geschichtsschreibung zu verändern. Bei ihr gibt es - in Folge der Bürgerkriege - die sogenannten Freistaaten, zu denen auch New York gehört. Dort ist die homosexuelle Liebe und Heirat nicht strafbar, sondern ganz normal. Im Mittelpunkt steht ein junger Mann, der die standesgemäße Ehe mit einem wesentlich älteren Mann ablehnt.
Der zweite Teil thematisiert die AIDS- Epidemie in den 1990-er Jahren. Es wird die Geschichte des jungen Hawaiianers David erzählt, der mit Charles, einem reichen Anwalt zusammenlebt. In Rückblenden erzählt uns die Autorin, die selber auf Hawaii aufgewachsen ist, die Familiengeschichte Davids und die Kolonialgeschichte des 50. Bundesstaates der USA.
Der dritte Teil ist in der Zukunft um 2090 angesiedelt. Die Welt wird in regelmäßigen Abständen von verheerenden Pandemien heimgesucht und die Freiheit der Menschen in einem Orwell-artigen Überwachungsstaat eingeschränkt. Angeblich hat Yanagihara die Idee für diesen Teil schon vor der Corona-Pandemie entwickelt. Im Mittelpunkt steht diesmal eine junge Frau, die als Kind die Krankheit überlebt hat und nun besondere Fürsorge braucht. Für mich ist es die stärkste, extrem realistische und dadurch kaum zu ertragende Geschichte in diesem Roman.
Alle Protagonisten sind auf der Suche nach dem Paradies auf Erden. Ob dies gelingt?
Auch wenn der neue Roman von Hanya Yanagihara besonders wegen seiner epischen Breite von mir nicht das Prädikat "Lieblingsbuch" bekommt, macht er nachdenklich und hallt lange nach. In jedem Fall lohnt sich die Lektüre!
Lesetipp von Nicole Christiansen - 31.01.2022
Roman, Hanser, 19,00 €
Das fünfte Buch von dem in Bagdad geborenen deutsch-irakischen Schriftstellers Abbas Khider hat nur 126 Seiten - und liest sich wie die fein gefilterte Quintessenz seiner Vorgängerromane. Der Held dieser berührenden Geschichte ist der "Erinnerungsfälscher" Said Al Wahid, vermutlich das Alter Ego des Autors. Im Mittelpunkt der Geschichte stehen seine Erfahrungen von Folter und Gewalt in der Diktatur. Seine Flucht aus dem Irak führt ihn durch verschiedene Länder im Nahen Osten bis er schließlich über Griechenland nach Deutschland kommt, wo ihn die Mühlen des unberechenbaren deutschen Einwanderungsrechts und der täglich für ihn spürbare Alltagsrassismus erwarten.
Dramaturgisch spannend ist der Wechsel der Zeitebenen im Roman. In einzelnen Sequenzen können wir uns ein Bild davon machen, wie sich das Leben von Said in Deutschland über viele Jahre hinweg entwickelt.
Said studiert. Er möchte Autor werden. Eine schwere Gedächtnisstörung macht ihm das Schreiben allerdings zur Qual. Seine Versuche, sich an sein vergangenes Leben zu erinnern, scheitern kläglich. Die Namen, Geburtstage, die Beschreibung seines Elternhauses, eine Landschaft; alles ist wie ausgelöscht. Ein Arzt rät ihm, sich an das "Behandlungszentrum für Folteropfer" zu wenden.
"Typisch, dachte Said. Wenn ein Migrant mit etwas kommt, das man in Deutschland nicht begreift, nennt man es Trauma. Was soll man tun, wenn das ganze Leben ein einziges Trauma ist?...Hatte das Gespräch mit dem Arzt überhaupt in einer echten Praxis stattgefunden oder hatte er sich das auch nur eingebildet?"
Said verliebt sich. Er wird Vater. Der Schmerz, der ihm angetan wurde, verwandelt sich am Ende zaghaft in Hoffnung.
Diese Lektüre berührte mich zutiefst. Meine Augen wurden mir geöffnet, um eine neue Perspektive zu gewinnen. Ein großartiger Autor!
Lesetipp von Sigrid Lemke - 21.01.2022
Jugendbuch, Oetinger, 14,00 €
Der neue Roman von Kirsten Boie führt uns zurück nach Hamburg im Juni 1945. Die Stadt liegt in Trümmern, britische Soldaten und Menschen ohne Wohnung bestimmen das Stadtbild. Wir lernen drei Jugendliche kennen: Jakob, ein Halbjude, der untergetaucht ist und bis vor einigen Tagen noch von einem Nachbarn versorgt wurde, doch nun ist der seit einigen Tagen nicht mehr gekommen. Jakobs Hunger überwiegt die Angst und so traut er sich auf die Straße. Er lernt Hermann kennen, der ein strammer Hitlerjunge war und nun nicht so recht weiß, was er glauben soll. Sein Vater, überzeugter Nazi, ist als Invalide aus dem Krieg zurück gekommen und nun ständig auf die Hilfe von Hermann und seiner Mutter angewiesen ist. Und auch Traute, ein Mädchen aus dem Viertel muss sich in dieser neuen Situation erst einmal zu Recht finden. Die Jugendlichen sind durch die Schrecken des Krieges und der Naziherrschaft miteinander verbunden.
„Heul doch nicht, du lebst ja noch" ist ein Roman für Jugendliche ab 14. Aber auch für Erwachsene ist dieser Rückblick auf ein Stück Hamburger Geschichte informativ und spannend. Kirsten Boie beschönigt nichts, aber sie lässt den Leser:innen Hoffnung und Aussicht auf bessere Zeiten: "Alles ist anders. Und wer weiß. Vielleicht wird wirklich alles gut."
Hanya Yanagihara: Zum Paradies
von Sybille Kramer,
01.02.2022
Abbas Khider: Der Erinnerungsfälscher
von Nicole Christiansen,
31.01.2022
Kirsten Boie: Heul doch nicht, du lebst ja noch
von Sigrid Lemke,
21.01.2022
Pascale Hugues: Mädchenschule. Porträt einer Frauengeneration.
von Sybille Kramer,
06.01.2022
Goldie Goldblom: Eine ganze Welt
von Nicole Christiansen,
05.01.2022
Karen McManus: You will be the Death of me
von Susanne Sießegger,
03.01.2022
Saša Stanišić : Panda-Pand. Wie die Pandas mal Musik zum Frühstück hatten
von Susanne Sießegger,
30.11.2021
Davide Morosinotto: Die Rebellen von Salento
von Andreas Mahr,
29.11.2021
Silke Wolfrum : Glückskekse im Advent
27.11.2021
Katrin Burseg: Unter dem Schnee
von Sigrid Lemke,
17.11.2021
Robert Brack: Blizzard
von Sigrid Lemke,
17.11.2021
Einar Kárason: Sturmvögel
von Sigrid Lemke,
02.11.2021
Yaa Gyasi: Ein erhabenes Königreich
von Nicole Christiansen,
21.10.2021
Juliane Stadler: Krone des Himmels
von Andreas Mahr,
20.10.2021
Pirkko-Liisa Surojegin: Die tanzende Waldmaus
20.10.2021
Sebastian Grusnick & Thomas Möller: Mein Bruder der Elbenritter
von Susanne Sießegger,
19.10.2021
Kevin Brooks: Bad Castro
von Andreas Mahr,
18.10.2021
Alex Schulman: Die Überlebenden
28.09.2021
Jenny Erpenbeck: Kairos
von Nicole Christiansen,
22.09.2021
Michael Köhlmeier: Matou
von Michael Keune,
21.09.2021
Edward Wyke-Smith Veronica Cossanteli: Im kleinen wilden Schnergenland
von Andreas Mahr,
15.09.2021
Peter Carnavas: Der Elefant
von Nicole Christiansen,
15.09.2021
Doris Knecht: Die Nachricht
von Eva Lorenzen,
12.08.2021
Matthias Politycki: Das kann uns keiner nehmen
von Nicole Christiansen,
10.08.2021
Miika Nousiainen: Quality Time
von Sönke Christiansen,
10.08.2021
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