Lesetipp von
Nicole Christiansen
25.08.2020
„Apeirogon"? Der Titel des neuen großen Romans von Colum McCann ist ein Begriff aus der Geometrie, der eine Form beschreibt, deren Seiten sowohl zählbar als auch unendlich sind. Das klingt erstmal kompliziert und ist doch ein Geniestreich! Die Hauptfiguren, ein Palästinenser und ein Israeli, beschreiben anhand ihrer persönlichen Schicksale den Konflikt, mit dem die Menschen im Nahen Osten seit 70 Jahren konfrontiert sind. Und das ist ein unendlich vielschichtiges Thema, für das Colum McCann eine ungewöhnliche Form gefunden hat: den Hybrid-Roman! Hier werden zwei Erzählperspektiven und unendlich viele weitere Erzählsplitter kunstvoll miteinander verwoben, so dass sie beim Lesen ein Gesamtbild ergeben, was dem Leser*in erlaubt, sich tief in die vorherrschende politische Situation zu begeben und den Schmerz beider Seiten nachempfinden zu können.
Bassam Aramins Tochter Abir war zehn, als sie von einem Gummigeschoss am Hinterkopf getroffen wurde. Ein 18-jähriger israelischer Soldat hat sie in Panik erschossen, als sie aus einem Süssigkeitenladen kam. Sie starb an Schädelblutungen in einem Krankenhaus, nachdem ihr Vater mit der sterbenden Tochter im Arm unerträglich lange am Checkpoint warten musste, bevor sie endlich ins Hospital kam.
Rami Elhanans Tochter Smadar war 13, als sie von einem jungen Selbstmordattentäter in den Tod gerissen wurde. Als die Eltern die Nachricht von dem Anschlag am Ben-Yehuda Markt durch das Radio erfahren, hoffen sie fest darauf, dass ihre Tochter gleich zur Tür herein kommt.
Anfangs verbindet die beiden Männer, der Moslem und der Jude, die Trauer um ihre geliebten Töchter. Beide empfinden tiefen Hass. Und beide beginnen irgendwann, sich Fragen zu stellen: „ Wird es den unerträglichen Schmerz, den du empfindest, lindern, wenn du einem anderen Schmerz zufügst?" Und ganz langsam, auf vielen Umwegen, gehen sie hinüber auf die andere Seite: die Seite des Täters.
Rami und Bassam begegnen sich schließlich bei einer Organisation namens Parents Circle. Hier engagieren sich Angehörige, die den Verlust ihrer Liebsten betrauern und trotzdem Frieden wollen. Es sind Palästinenser und Israelis! Colum McCann begegnet den beiden bei einem ihrer Vorträge über ihre ermordeten Töchter und ist zutiefst berührt. Als Ire, der schon lange in den USA lebt, erinnerte er sich an den Hass, den er als Kind in seiner Heimat erlebte.
Und dann setze er sich hin und schrieb diesen großartigen Roman. Ein Meisterwerk!
Übersetzung: Aus dem Englischen von Volker Oldenburg
Roman
Rowohlt, 25,00 €
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